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Buchcover von R. Phillips "Geschichte des Weins"Roderik Philipps

Die große Geschichte
des Weins

"Nichts auf dem abendländischen Speiseplan hat eine so reiche und komplexe Vergangenheit wie der Wein", schreibt der Historiker Roderick Phillips zu Anfang seiner Großen Geschichte des Weins. Dass Weingeschichte etwas ganz besonders ist, behauptet Phillips nicht nur, er demonstriert es auf 383 Seiten, die mit üppiger Information gefüllt sind.

Der Ursprung des Weins liegt für den ernsthaften Forscher im Trüben. Ein überzeugendes Indiz, Weinstein in alten Tonkrügen, weist auf den westlichen Iran um 5000 vor Christus. Doch geht es bei Phillips um mehr als die Nennung historischer Daten. Eingebettet in einen breiten Rahmen aus Archäologie, Sprachgeschichte und vor allem durch Hinweise darauf, wie Menschen mit Wein umgegangen sind, welche Rolle er in ihrem Leben spielte, entsteht ein reiches Bild vergangener Jahrhunderte.

Wein und Ritual

Für die alten Griechen war Weingenuss fester Bestandteil öffentlicher und privater Zeremonien. Auch wenn vor 2 und 3000 Jahren Wein sicher anders schmeckte, die damalige Weintechnik keine Gewächse heutigen Formats hervorbrachte; Griechen und Römer wussten sehr wohl Geschmacksrichtungen und Qualitäten zu unterscheiden. Plinius der Ältere vergab Punkte (an Caecuber- und Falernerwein) wie heute bekannte Weinjournalisten. Solche Urteile beeinflussten den Geschmack und den Preis für den jeweiligen Rebensaft, ganz wie wir es aus dem Jetzt kennen. Rund 1200 Jahre nach Plinius zu Anfang des 13. Jahrhunderts ließ König Philip August von Frankreich Weine von einem englischen Priester bewerten. Der urteilte nicht nur sinnlich, sondern auch moralisch, verteilte rühmende Titel und exkommunizierte. Auf der positiven Seite wurden unter den probierten Weinen ein Papst, 3 Könige, 3 Grafen und ein Dutzend Edelleute ernannt.

Weingeschichte ist immer auch eine Geschichte des Missbrauchs. Und den tadelte vor allem die Kirche, auch wenn sie wie keine andere Institution Weinbau- und Verbreitung förderte. Nicht nur beim Zugang zum berauschenden Rebensaft, auch in der Strafe bei übermäßigem Genuss waren keinesfalls alle Menschen gleich. Mittelalterliche Bußbücher geben Auskunft über gestaffelte Strafen für Laien und verschiedenrangige Geistliche. Alkoholismus als Krankheitsbegriff entstand erst sehr viel später durch die Beschreibung eines schwedischen Arztes im Jahr 1849.

Detailreich und anschaulich

Im letzten Kapitel, das Phillips dem deutschen Autor Gerd Sollner überlässt, kann man erfahren, warum so viele Champagnerhäuser deutsche Namen tragen. Die Taittingers und Bollingers waren eben gute und sprachbegabte Händler, übernahmen eine für Franzosen unangenehme Arbeit. Und damit die fleißigen Fachleute nicht gefährlich wurden, ließ man sie oft eine Tochter des Hauses heiraten, damit alles in der Familie bleibt.

Phillips präsentiert ein anspruchvolles Buch für anspruchsvolle Leser, keine Faktenhuberei, sondern informative Details über Weinkultur, über die technische und die soziale Entwicklung des Lebens- und Genussmittels Wein. Vom Umfang sollte man sich nicht abschrecken lassen. Auch einzelne Kapitel sind schon Bereicherung genug. Die "Große Geschichte des Weins" von Roderick Phillips, ein Buch, das diesen Titel in mehrfachem Sinne verdient. Wissenschaftliche Lektüre, die süffiger ist als mancher Roman.